Mehrfach schon habe ich das Heiligtum von Oma Anna selig erwähnt, ihre große alte Reisetruhe.
In dieser Truhe befand sich, in einem kleinen Nebenfach, ihr einziges Schmuckstück, welches sie über Jahrzehnte bewahrte und das lediglich einmal pro Woche ans Tageslicht durfte, nämlich dann, wenn sie sich zum Kirchgang rüstete.
So wie Oma Anna es hütete, ich durfte es nicht einmal anfassen, ging ich davon aus, dass es sehr wertvoll sein müsse.
Das Ding glänzte und wenn man es ins Licht hielt blinkte es sogar leicht.
Oben befand sich ein runder Bügelverschluss aus glänzendem Metall, eine Kette aus ebensolchem Material und an den Bügel anschließend ein Beutel aus einem weissen, fast durchsichtigen Textil.
Richtig, es war die kleine Handtasche, das einzige Schmuckstück von Oma Anna selig. Als Kind dachte ich, dass das Metall wertvoll sein müsse, „bestimmt ist es Silber“ raunte es in meinem Kopf, später wusste ich, dass es nicht wertvoll war, da lediglich aus ‚Neusilber‘ oder auch Alpaka, eine einfache Legierung aus Nickel, Kupfer und Zink.
Trotzdem wachte Oma Anna über ihr Schmuckstück geradezu eifersüchtig.
Handtaschen spielten damals im Outfit bei ‚festlichen Angelegenheiten‘ eine große Rolle, sie waren Schmuck, Statussymbol, zuweilen sogar Geldanlage, ein Gebrauchsgegenstand waren sie eher im Alltag, dann in einer einfacheren Form, etwa der der Einkaufstasche.
„Ein Leben ohne Handtasche ist schwer vorstellbar, ist sie doch so etwas wie der tragbare Hausstand der Frau. “
Ich wollte, die Formulierung wäre von mir, leider ist sie es nicht, ich habe sie im Zusammenhang mit dem Buch „Handtaschen“ von Anna Johnson gelesen.
Erstaunlich wie wenig in der Regel der Inhalt einer Handtasche mit dem sonstigen „Ordnungssinn“ seiner Trägerin korrespondiert, ich zumindest habe noch nie eine aufgeräumte und auf das Notwendigste reduzierte weibliche Handtasche gesehen.
Möglicherweise ist dies auch der Grund dafür, dass der Zenit der Handtasche derzeit überschritten scheint – das Volumen ist immer zu gering.
Früher war es ein textiles Taschentüchlein, ein kleiner Flacon für eine Parfümprobe, ambulant anzuwenden, eventuell kam noch das Riechfläschen mit Salmiak dazu und die Tasche war komplett gefüllt. Geld trug die Dame von Stand nicht mit sich herum, sie war prinzipiell immer eingeladen. Ob Oma Anna selig, eine einfache Landarbeiterin, jemals eingeladen war, ist mir nicht überliefert.
Heute beobachte ich zunehmend Damen, selbst im feinen Zwirn, die statt mit repräsentativen und eleganten Handtaschen mit Rucksäcken ausstaffiert sind. Wobei der Begriff ‚Rucksack‘ für diese High-tech-Geräte eine formidable Untertreibung ist. Und das Volumen erst … elegant allerdings sind sie nicht.
Ein Blick hinein verrät zudem, Rucksäcke sind heute komplette Survival Packs statt weibliches Accessoire und das Volumen erst? Nach ein paar Wochen ist es wieder zu klein.
So ändern sie sich eben, die Zeiten.
Die „Teufelsbraut“ wird wohl weiterhin PRADA tragen..
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