Auf der Strasse begegnet mir – gefühlt – jeder zweite Mensch mit einem kleinen Kästchen in der Hand, auf welches der Blick fest gerichtet ist. Nicht selten klemmen noch ein oder zwei Stöpsel im Ohr, mit und ohne Kabel zu dem kleinen Kästchen.
Wäre jemand vor 30 Jahren so auf der Strasse herumgelaufen, hätte auf ein kleines graues Kästchen eingeschlagen und dabei laufend vor sich hin gestammelt, gestikuliert oder gesummt, der Weg in die ‚Geschlossene‘ wäre alternativlos gewesen.
Das Zusammenleben ändert sich eben laufend.
Aber das ist nicht das Thema.
Grundlegende Veränderungen machen naturgemäß auch vor einer Klinik nicht halt.
Früh, kurz nach 7.00 Uhr im Foyer, die Wege, Erscheinungsbilder und Verhaltensweisen der dort aufschlagenden Menschen sind sehr individuell.
Der größte Sog besteht in Richtung der ‚Raucherinsel‘, eine Art sozial geächteter Verbannungsort, an die 50 Meter abseits vom Gebäude. Man meint dorthin einen fest ausgetretenen Trampelpfad vom Aufzug oder dem Treppenhaus zu sehen. Die meisten Gestalten wirken beim Hinausgehen unverstellt mißmutig, erkennbar noch ohne Morgentoilette, in einer Hand den Kaffeebecher mit Automatenkaffee, in der anderen Hand in der Regel eine einzelne Zigarette und das obligatorische Feuerzeug. Wozu brauchen sie ein Feuerzeug, die Raucherinsel ist sowieso de facto rund um die Uhr besetzt und so könnte sich jeder Raucher beim Anderen Feuer geben lassen? So war es jedenfalls in unserer Jugend. Zugegeben, ich weiss nicht, ob man sich heute noch gegenseitig Feuer gibt?
Als pathologischer Nichtraucher hoffe ich bei Jedem mit EINER Zigarette in der Hand, er oder sie hätte sich gerade heute entschieden das Rauchen endgültig aufzugeben, ein Trugschluss, die Schachtel lauert in der Hosen- oder der Hemdtasche (Männer), sie tragen dort mehr oder weniger vorteilhaft auf, und im Rucksack (Frauen). Alternativ kommt bei den Damen auch die Gürteltasche in Frage, erstaunlicherweise meist bei denen, die sie ob ihrer körperlichen Dimensionen und deren wenig gelungene Verteilung eher meiden sollten.
Nach einigen Minuten kommen sie zurück, die Meisten auffällig verändert, dynamischer laufend, fast immer in Unterhaltung mit Anderen (Rauchern), den Kaffeebecher haben sie draußen ‚irgendwo‘ entsorgt, ich will es garnicht wissen wo und die angefangene Zigarettenpackung tragen sie jetzt ungeniert in der Hand.
Die zweite Gruppe sind die „Stillen“, ihr Weg trennt sich im Foyer ganz schnell von dem der Raucher. Wie an einer unsichtbaren Perlenschnur ausgerichtet, zieht es sie zu einem Raum gleich neben der Rezeption, dort sind die Postfächer. Sie sind ganz selten beim Reden, trotten still vor sich hin, holen aus ihrem Fach den Therapieplan des Tages und ich bin mir sicher, sie werden ihn still, demütig und in allen Punkten diszipliniert abarbeiten. Auch den Rest des Tages werden sie still absolvieren, nicht weiter auffallen und sie vermeiden jegliches Aufsehen um ihre Person. Das Schritttempo wird bis zum Abend gleich bleiben und sie lieben die Nähe schutzvermittelnder Wände und Ecken, sodass man sie meist dort vorfindet.
Die dritte Gruppe sind die „Eifrigen“, geschmeidig, geschniegelt und gebügelt, schon am frühen Morgen ‚overdressed‘, meist haben sie Hefter und Taschen mit ihren ärztlichen Unterlagen unmittelbar ‚am Mann‘, man könnte es ja selbst vor dem Frühstück schon brauchen, was absolut unwahrscheinlich ist. Typischerweise hätten sie auch alle Daten im Kopf, könnten sie mühelos rapportieren, was sie auch sofort tun, sofern es jemand wissen will. Meist ist das Ziel der Ergüsse nicht der Behandler, sondern Mitpatienten aus der Gruppe der „Stillen“. In der Regel steuern sie – mit gewichtiger Mimik – auf die Rezeption zu, initial ohne konkretes Anliegen, aber sie finden immer rechtzeitig einen Behuf, um sich die eigene Wichtigkeit immer wieder zuzuschreiben, selbst wenn es nur der Kauf einer ‚Waschmarke‘ mit einem großen Auftritt ist. Das Schrittmass der „Eifrigen“ unterliegt starken Schwankungen. So sie Kompetenz vermitteln wollen, zügig, raumgreifend, zielsicher. Wenn es darum geht Empathie einzufordern, unsicher, kleinschrittig, scheinbar an externen Dingen Sicherheit suchend und stets darauf bedacht auch so wahrgenommen zu werden.
Es ist interessant die Menschen am frühen Morgen im Foyer einer Klinik zu beobachten, am Abend sind dann sowieso fast alle gleich.
PS: Ich mag die Stillen am liebsten, sie stören mich am wenigsten beim Umgang mit meinen eigenen Marotten.