Beinahe täglich sehe ich leerstehende Schulgebäude, meist in kleineren Städten oder Dörfern, einige werden anderweitig genutzt, andere gammeln jahrelang still leidend vor sich hin, um dann irgendwann der Abrissbirne zum Opfer zu fallen.
In meinem Leben habe ich viele Schulgebäude von außen, nicht wenige auch von innen kennengelernt, meist hatte ich das Gefühl Achtung gebietender Imposanz, auch dann, wenn es nur kleinere Gebäude waren.
Die meisten Schulgebäude sind sehr solide gebaut, dicke Mauern, stabile Türen, breite Treppen, nur die gemeinschaftlichen Sanitäranlagen … nun ja.
Ich erinnere mich an meine erste Grundschule, ein kleiner Anbau, eingezwängt neben größeren Gebäuden, gegenüber der St. Martinkirche, eine schmale Tür, zu der zwei Stufen hinaufführten, dahinter gleich der Klassenraum mit zwei Bankreihen, links für die 1. und rechts für die 2. Klasse. Die Bänke alt, mit eingelassenen Tintenfässern, tintenbeschmierte Tischplatten, auf dem weichen Holz eingeschriebene Buchstaben, in der hintersten Reihe ein eingeritztes Hakenkreuz, nur notdürftig aus der Platte heraus geschmirgelt, aber immer noch gut zu erkennen.
Meine nächste Schule, erreichte ich als 7Jähriger sommers wie winters mit dem Fahrrad, ein kleines sehr einfaches Rad mit 24er Reifen, über eine Fernverkehrsstraße, heute nennt man es Bundesstrasse, 6 Kilometer hin, 6 Kilometer zurück. Auch dies ein Bau mit sehr dicken Mauern, im Matheunterricht lernten wir die Dicke der Wände zu messen und das Volumen der Mauern zu errechnen.
Mein Gymnasium, ein ebenfalls sehr traditionsreiches Gebäude in der Gustav-Freitag-Straße in Erfurt, hatte und hat den klangvollen Beinamen „zur Himmelspforte“, damals konnten wir dies nicht einordnen, im Nachgang weiss ich, dass uns die Bildung dort praktisch die Himmelspforte zum Leben gewiesen hat.
Schulen waren für uns ehrwürdige Gebäude, respektgebietend, manchmal Ängste vermittelnd, fast kleine Heiligtümer.
Vor vielen Jahren habe ich von einem alten Lehrer die Geschichte eines Schulneubaus in einer größeren dörflichen Gemeinde zum Ende der 40er Jahre gehört, nachdem die alte Dorfschule im Krieg zerstört worden war. Von einem Dorf, in dem man Geld gesammelt, Steine geklopft und im damals sogenannten „Nationalen Aufbauwerk“ die Schule selbst wieder aufgebaut hatte. Fast jeder hatte mit angefasst, das getan, was er konnte und das gegeben, was sich zu Hause entbehren liess. Eine Geschichte, die heute unvorstellbar erscheint.
Vor einiger Zeit habe ich mich an seine Erzählung erinnert, das Gebäude aufgesucht, es steht heute noch, die Fenster sind blind, seit Jahren findet dort kein Unterricht mehr statt, obwohl es mit seinen dicken Mauern nach wie vor imposant auf einer kleinen Anhöhe steht.
Daneben prangt das Schild eines „Investors“ mit klangvollem englischen Titel:
„Hier entsteht eine altersgerechte Wohnanlage mit häuslicher Pflege.“
Wenn in das alte, streng symmetrisch gegliederte Gebäude irgendwann die „AltenPflege“ eingezogen sein wird, befürchte ich, wird es von der dynamischen Öffentlichkeit wohl weitgehend gemieden und die Pflege an kostengünstige, ausländische, kaum des Deutschen mächtige Hilfskräfte übergegeben werden.
So schließt sich der Kreis, vielleicht werden in dem Haus einmal die Kinder derer ihre letzte Lebenszeit verbringen, die vor Jahrzehnten hier die Steine für die dicken Mauern „ihrer neuen Dorfschule“ klopften?