Die Landtagswahl in Thüringen ist Geschichte, gestern war der Wahltag, es hat den ganzen Tag gemistet (geregnet), es war grau und trist und heute strahlt die Sonne wieder, auch wenn es kalt geworden ist.
Die LINKE hat weiter zugelegt und ist jetzt stärkste Fraktion des Landtags, obwohl, die LINKE ist wohl im Wesentlichen Bodo Ramelow, die Partei ist hinter dem MP leider kaum noch sichtbar.
Trotz oder gerade wegen Bernd Höcke ist die AfD zweitstärkste Kraft, die CDU ist abgestürzt, hat rund ein Drittel der Sitze verloren. SPD und Grüne sind zwar im Landtag, wahrscheinlich auch die SPD, aber alle drei sind so marginal, dass sie kaum noch eine Rolle spielen.
Aktuell scheint es darauf hinauszulaufen, dass die LINKE und die CDU vorrangig das Gespräch suchen werden, bis gestern 18.00 Uhr hätten die meisten CDU-Granden wahrscheinlich mit Übelkeit und Erbrechen auf eine solche Offerte reagiert.
Irgendwie mutet das alles wie ein lustiges Bäumchen-wechsel-Dich an. Bis Samstagabend hatte man sich verbal noch gegenseitig bekämpft, beschimpft, verächtlich gemacht. Heute erklärt man sich, mit Ausnahme der AfD, gegenseitig unverbrüchliche Treue und dass man doch gegenseitig koalitionsfähig sein und die Demokratie retten müsse. Warum haben wir dann eigentlich gewählt?
Die Zeiten ändern sich eben. Alles ist möglich geworden, auch das, was gestern noch absolut unmöglich schien.
Ich erinnere mich an meine erste Teilnahme als 18 Jähriger zur Wahl der DDR-Volkskammer am 2. Juli 1967, wir nannten es abwertend „Zettelfalten“.
Erstaunlicherweise war es trotzdem ein feierlicher Augenblick. In einem „Erstwähler-Seminar“ hatte man uns die Abläufe der Wahl erklärt, verstanden hatten wir das System nicht, gab es doch eigentlich gar keine klassische Wahl zwischen verschiedenen Parteien bzw. Personen.
Es gab eine Liste, in welcher die Vorschläge der einzelnen Parteien und Organisationen aufgelistet waren. Diese Liste erhielt den klangvollen Namen: „Gemeinsamer Wahlvorschlag.“
Für den gemeinen Bürger wiederum bestand der Akt der Wahl darin den Wahlschein in Empfang zu nehmen, diesen im Raum offen stehend zu falten und kommentarlos in die bereitgestellte Wahlurne zu stecken. Es gab pro forma auch eine Wahlkabine, deren Benutzung allerdings verpönt war, wer trotzdem mit seinem Wahlzettel darin verschwand hatte sein „Klebchen weg“.
Eine Wahlbeteiligung zwischen 98,5 und 100% war von staatlicher Seite gesetzt und wurde der Einfachheit halber als Zustimmung zum „Gemeinsamen Wahlvorschlag“ gewertet.
Obwohl diese Wahl eher eine Farce, denn eine echte demokratische Willensbildung war, hatte die Teilnahme daran meist etwas Ernsthaftes. Selbst das Wissen, dass es um keine ernsthafte persönliche Entscheidung für oder gegen eine Person oder Partei ging, tat dem wenig Abbruch.
In 1990 dann die erste und gleichzeitig letzte Wahl nach demokratischen Kriterien zur Volkskammer. Das Procedere war uns über die Medien bekannt, insofern nicht neu und doch ein unbekanntes Gefühl. Wir hatten plötzlich die Idee als Person und nicht als Gemeinschaft etwas bewirken zu können.
Die Erwartungen waren hoch, wahrscheinlich irreal hoch und hielten der Realität nicht stand.
In den 90ern waren politische Grenzen noch erkennbar, die Parteistrukturen schienen in etwa dazu zu passen. CDU und SPD stritten sich um die Vorherrschaft, es war kein politischer Kampf mehr, wie etwa in den 70ern oder 80ern, wohl aber noch ein mildes Streiten, wobei die SPD schon damals begann wesentliche Anteile ihrer ‚auftragsgemäßen‘ arbeitnehmernahen Politik ohne Not aufzugeben. Sie wurde profillos und stand eigentlich für – nichts.
Die Grünen dümpelten vor sich hin und die Linken – mit ihren multiplen Namenswechseln – war eine Partei mit definitiv selektiv ostdeutscher Ausrichtung.
Die FDP hatte etwas sphinxhaftes, kaum jemand verstand so richtig, was sie eigentlich wollte, gelegentlich war sie als Königsmacherin gefragt und tat dies auch.
Mit der Merkel-Zeit verschwammen die Konturen der politischen Parteien immer mehr, für den Bürger stellen sich die Parteien inzwischen als weitgehend homogener Brei mit geringen graduellen Unterschieden dar, nimmt man einmal die Höcke-AfD aus.
Die Bindung zu den jeweiligen, die Parteien tragenden Interessengruppen liess peu à peu nach, soziale Gruppen finden sich nicht mehr schwerpunktmäßig durch politische Parteien vertreten.
So, wie sich die Parteien der sogenannten Mitte selbst austauschbar darstellen, so sehen sie inzwischen auch die Menschen im Land.
In meinem sozialen und beruflichen Umfeld sehe ich einen interessanten Prozess. Noch vielleicht vor 5 Jahren, war die Frage „Was wirst Du wählen?“ verpönt. Die wenigsten hätten sich im Vorfeld klar öffentlich positioniert. Und es gab eine gewisse Ernsthaftigkeit hinsichtlich der eigenen politischen Präferenz. Die meisten Menschen hatten immer noch das Gefühl, dass ihre Entscheidung wichtig wäre.
Das hat sich inzwischen grundlegend geändert.
Im Gespräch fällt immer mehr eine fehlende Ernsthaftigkeit auf, die politischen Parteien und ihre Protagonisten werden nicht mehr als vertrauenswürdige Persönlichkeiten wahrgenommen, viele werden verlacht, einige wenige gehasst. Dabei ändern sich die Parteien und die exponierten Personen laufend und je nach eigener Sichtweise.
Es gibt somit definitiv einen großen Vertrauensverlust der „politischen Klasse“.
So hatte auch die Landtagswahl in Thüringen wenig Ernsthaftigheit, sondern eher Happening-Charakter.
Um es auf den Punkt zu bringen, man wählte größtenteils nicht nach Programmen oder vermeidlichen Inhalten, daran glaubt sowieso kaum noch jemand, sondern „aus Spass“, selbst wenn man es so nicht nannte.
Das Ergebnis in Thüringen ist nun, wie es ist. Der Wähler hat gesprochen, auch wenn er es eigentlich nicht ernst gemeint hat, er hat lediglich die Schwächen der Parteien aufgegriffen und dargestellt.
Und nun werden wieder alle monatelang im Kaffeesatz lesen, besser wäre es, an sich zu arbeiten.
Ich erinnere mich an einen Filmtitel: „Die Artisten in der Zirkuskuppel ratlos“ – in Berlin steht dich auch so ein Haus mit Kuppel.. Von da aus startete doch die Fahrt gegen die Wand..
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