Peter Handke und der Literaturnobelpreis …

Der Literaturnobelpreis ist vergeben, für gleich zwei Jahre, ein Preisträger ist der deutschsprachige Schriftsteller Peter Handke.

Reflexhaft kam mir sofort in den Sinn: „Wir sind Literatur-Nobelpreisträger„, bis es mir eiskalt den Rücken hinunterlief, „Scheiße, Handke ist doch nur Österreicher.“ Und der Anschluss ist schon seit mehr als 70 Jahren Geschichte.

Die Liste der genuin deutschen Preisträger nach dem Krieg nimmt sich eher schmal aus, Heinrich Böll, Günter Grass und Herta Müller, wobei sich bei Letzterer der einheimische Jubel in Grenzen hielt, steht Sie doch in ihrem Lebensweg eher für die Banater, und die sind ja doch Aus- und dann wieder Zugewanderte. Also für den gemeinen Deutschen durchaus wankelmütige Typen, auch wenn ihr Auszug aus dem gelobten Land in die verwüstete und entvölkerte Pannonische Tiefebene schon Ende des 17. Jahrhunderts erfolgte.

Günter Grass kam nicht ungeschoren davon, als er kurz vor seinem seligen Ende bekannte, dass er sich wenige Tage vor Kriegsende als 17Jähriger freiwillig zur Waffen-SS gemeldet hatte. Von da an hatte er für die deutschen Beckmesser gründlich und nachhaltig neben den Eimer geschissen. Obwohl, so richtig beliebt war er auch vorher nicht gewesen, nicht glatt genug.

Ich gebe zu, die Causa Grass hätte mir unangenehm sein müssen, erinnerte sie mich doch an mein Vergehen mit Onkel Willi.

Onkel Willi, den Halbbruder meines Vaters habe ich in sehr guter Erinnerung. Ein nach außen bärbeissiger, zu mir sehr herzlicher, selten rasierter Mann auf dessen Schoß ich als Kind viele Runden mit seinem alten Lanz-Bulldog drehen durfte. Ich erinnere als Sitz eine halbkreisförmige Metallplatte mit Bohrungen, damit der Mulm, die schlechte Luft aus der Arbeitskleidung nach unten abziehen konnte. Der Sitz wackelte im Takt des Motors, so kräftig das langsame „blubb, blubb, blubb“ des Lanz klang, so kräftig vibrierte der Sitz. Gab man etwas Gas, viel ging sowieso nicht, wurde das Blubbern etwas schneller und im gleichen Takt vibrierte der Sitz. Noch heute glaube ich diese Bewegung zu spüren, wenn meine Gedanken zu Willi und seinen alten Lanz zurückgehen.

Willi war im Krieg Mitglied der Waffen-SS gewesen, lange war er in Frankreich in Gefangenschaft und erst sehr spät zurückgekommen. Danach war er das ’schwarze Schaf‘ der Familie, auch wenn weder seine Eltern, noch seine Geschwister durch die Bank lupenreinen Demokraten gewesen waren. Hinter Willi in seiner Uniform konnte man sich problemlos verstecken, einer seiner Brüder hatte den Krieg als Polizeibeamter mit schwarzem Ledermantel in der Etappe überstanden und machte in Willis scharfem Schatten, von Abscheu sicht- und hörbar geschüttelt, später „gut Karriere“.

Nun ja, wie beim Literaturnobelpreisträger Grass eben.

Ich wäre schier enttäuscht gewesen, wenn man nicht offiziell versucht hätte dem lausigen Össi Peter Handke kräftig eine ans Zeug zu flicken. Meine Erwartung wurde zum Glück erfüllt, kaum war sein Name als Preisträger genannt, fielen – allen voran – die deutschen Medien über ihn her, um ihn der Parteinahme für die „verbrecherischen Serben“ im Balkenkrieg der 90er zu bezichtigen.

Es mag sein, dass Peter Handke Partei bezogen hatte. das ist sein gutes Recht.

Ich erinnere mich, dass auch ich seinerzeit nicht frei war von Parteinahme, geprägt durch unsere Medien aber fast ausschließlich gegen die Serben.

Wie es der Zufall wollte sind mir in den letzten Jahren beruflich viele Menschen begegnet, deren Wiege auf dem Balkan stand: Kroaten, Serben, Bosnier, Slowenen, Kosovaren, Frauen, Männer und Menschen, die damals noch Kinder gewesen oder gerade gezeugt worden waren.

Es war und ist erschütternd zu hören, welche Abgründe menschlichen Handelns sich im Krieg auftun. Im Krieg gibt es unter den Akteuren keine Guten und Bösen, bestenfalls gibt es mehr oder minder Böse, alles andere ist pure Erfindung der Sieger und ihrer Adlaten.

Ich habe gelernt, dass es auf dem Balkan Massacker durch alle beteiligten Seiten gab, dass serbische, kroatische, bosnische oder kosovarische Frauen Opfer sexueller Gewalt wurden und heute dort Legionen von jungen Menschen unterwegs sind, für die die Nationalität ihrer biologischen Väter unklar ist.

Es erschüttert mich die Geschichten zu hören, wie sie unter anderem fast wortgenau von Oma Anna selig für die Zeit nach Ende des 2. Weltkriegs berichtet wurden und wie sie auch die Menschen der damals von Deutschland besetzten Länder erzählen könnten.

Peter Handke hat also irgendwann Partei für die serbische Seite ergriffen, das ist sein gutes Recht und ich bin mir sicher, es war und ist seine Überzeugung gewesen. Wenn man ihm dies heute anlastet, möge man auch mich anklagen, dass seinerzeit Willi mein Lieblingsonkel war, auf dem wackelnden Blechsitz seines alten Lanz.

Ich gratuliere ehrlichen Herzens Peter Handke zu seinem Nobelpreis, nicht ohne eine gewisse Wehmut, dass mir diese Ehrung nie widerfahren wird. Verdient hätte ich sie eh nicht.

Und, ich schäme mich für die Kampagne der deutschen Medien gegen ihn.

Peter lass Dich nicht verdriessen. Du hast den Preis verdient.

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