Die zur Schicksalsentscheidung hochstilisierte Europawahl des letzten Wochenendes liegt hinter uns, die Menschen haben gewählt oder auch nicht, alles nicht so, wie von den großen Parteien erhofft, aber die Welt ist weder stehengeblieben, noch ist sie untergegangen. Sie dreht sich weder schneller, noch langsamer, morgens geht die Sonne auf und abends gehen die Hühner immer noch in den Stall. Es ist zu keiner Apokalypse gekommen und in Brüssel streitet sich schon wieder die Politkamarilla um die vakanten Posten, und wenn die vorhandenen nicht reichen sollten, wird sie ohne Zweifel schnell neue erfinden.
Alles so wie immer, so als wäre nichts geschehen.
Ich habe – nach dem Polittheater der letzten Monate – die Europawahl zuerst spöttisch gesehen. Warum soll ich meinen Sonntag mit dem Gang zum Wahllokal zerreißen, wenn das Ergebnis in Brüssel nichts, aber auch gar nichts ändern wird? Wen oder was soll ich wählen, wenn die politischen Parteien sich inzwischen fast bis zur Unkenntlichkeit einander angenähert haben?
Die Medien haben – unisono – auf uns eingetrommelt, haben uns erklärt was richtig und was falsch sei, haben uns darauf hingewiesen, was wir zu glauben und wovor wir uns zu fürchten hätten, wie der Teufel das Weihwasser. Sie haben uns in Kategorien eingeteilt, in die Rechtgläubigen, die Guten einerseits und die Zweifelnden oder Leugner andererseits, die Dummen, die Bösen oder was auch immer andererseits.
Das Schema ist ganz einfach: Wer die gegenwärtig dominierenden Meinungen in Frage stellt oder auch nur Teilaspekte hinterfragt wird sozial massakriert, Meinungsvielfalt wird zur Häresie erklärt.
Meinungen werden als unumstößliche Wahrheit formuliert und damit zur gesellschaftlichen Peitsche umfunktioniert und der Großteil der Bevölkerung folgt diesem – in meinen Augen – irren und undemokratischen Tun willig.
Im Osten Deutschlands sozialisiert ist mir dies alles nicht fremd.
Wir Ostdeutschen haben hinlänglich Erfahrung mit Parteien und politischen Gruppierungen, die das Wahrheitsmonopol für sich beanspruchen. Und, um ehrlich zu sein, auch ich war diesem Trugschluß – die Mehrheit wird es schon richtig wissen und machen – einige Zeit verfallen.
Der ansonsten recht erfolglose Schriftsteller Louis Fürnberg hatte der Partei, damals mit Namen SED, eine eigene Hymne gegeben, die durch die Schlagzeile „Die Partei, die Partei, die hat immer recht“ bekannt wurde. Wer sich das selbst einmal reinziehen möchte http://www.youtube.com/watch?v=865Sn8JrMvY.
Seltsamerweise schleichen sich Text und Melodie dieses Liedes in meine Gedanken, wenn ich die Vertreter der „klassischen“ Parteien ihren altbekannten und lediglich aus leeren Worthülsen bestehenden Sermon herunterbeten höre. Genau das kennen wir Ostdeutschen seit Jahrzehnten, den Wessis mag es neu sein.
Also, die Vertreter der klassischen Parteien, die sich demagogisch immer noch Volksparteien nennen, haben zur Europawahl eine herbe Klatsche bekommen. Nicht nur, dass viele ihrer Protagonisten selbige – einen an der Klatsche – haben, nein, ich vermute, dass sie nicht selten den Mist, den sie absondern, auch noch glauben.
Ich habe den ellenlangen Wahlzettel zur Europawahl mehrfach hin-und her gedreht. Die obersten Zeilen habe ich – mangels Interesse – einfach übersprungen und mein Kreuzel dann bei einer jungen, gerade erst gegründeten Gruppierung gemacht, die sich für die Einführung von Instrumenten zur direkten Demokratie – nach Schweizer Vorbild – einsetzen zu wollen, verspricht.
Mit meiner jahrzehntelangen Tradition „links“ zu wählen, habe ich damit gebrochen. Nicht weil ich protestieren will, aber bei keiner der dominierenden Parteien finde ich mich mit meinen Anliegen und Interessen wieder.