Wie einfach ist es pumperlgsund zu sein?
In einigen, auch befreundeten Blogs wird aktuell wieder das Thema „Ernährung“ aufgenommen.
Eine sehr wichtige und interessante Diskussion, ist doch die Ernährung eine unserer wichtigsten Lebensäußerungen.
Der Grundtenor ist:
‚Zurück zur Natur‘, alles soll frisch sein, möglichst regionaler Anbau, sowieso alles Bio und alles andere ist „Bähhhh“.
Und die, die heute Lebensmittel im Supermarkt oder beim Discounter verkaufen, sind zumindest verdeckte Kriminelle, die uns neben dem Portemonnaie auch ans Leben, zumindest aber die Gesundheit wollen. Wenn es diese Schurken nicht gäbe, wäre alles gut und wir alle pumperlgsund.
Ich wollte, es wäre so einfach, ist es aber nicht.
Natürlich hat ein Großteil unserer ‚kaufbaren‘ Nahrungsmittel einen Wandel durchgemacht, der unseren Körper irritiert. Natürlich wäre es wünschenswert auch heute die Nahrungsmittel zur Verfügung zu haben, an die sich unser Organismus regional über Jahrhunderte und über die Generationen angepasst hat. Allerdings ist es unter unseren sozialen Bedingungen völlig irreal zu fordern: „Zurück zum Eigenanbau, alles andere ist schier kriminell“.
Ein Beispiel:
Die Versorgung mit Nahrungsmittel in Deutschlands Osten vor 1989 entsprach in etwa dem, was heute als non-plus-ultra empfohlen wird.
Ich erinnere an Gemüse regelhaft Weißkohl, Rotkohl, Wirsing, Kartoffeln, saisonal Blumenkohl, Kohlrabi, Möhren.
An Obst gab es regelhaft Äpfel, saisonal anderes heimisches Obst, Zitrusfrüchte in der Weihnachtszeit und Bananen waren ein Glückstreffer.
Die Versorgung mit diesen Dingen erfolgte überwiegend regional.
Grundstücksbesitzer außerhalb städtischer Ballungszentren hatten in der Regel einen Hausgarten und bauten das an, worauf sie Appetit hatten.
Bei uns auf dem Dorf hatte nahezu jedes Haus eine kleine Tierzucht, Kaninchen, Hühner, Gänse, Enten, Schweine, wer konnte und wollte, hatte eine Kuh – und ich wurde mangels Muttermilch – synthetische Kindernahrung gab es nicht – überwiegend mit der Milch der familieneigenen Ziege und Brei aus selbstangebauten Gemüsen aufgezogen. Es hat mir nicht geschadet?
Nebenher: Unbehandelte Milch ist nach 24 Stunden sauer. Milch mit verändertem Eiweiss hält sich selbst ungekühlt monatelang. Womit kann unser Körper mutmaßlich besser umgehen
Mit Grenzöffnung 1989 schwappte der ganze Ernährungsbrei – kurz vor dem Verfallsdatum – von West nach Ost. Regionale Produkte waren über Nacht nicht mehr gefragt
Ich kann mich an viele mitleidige Blicke und noch mitleidigere Gesten erinnern: „Ach ihr Armen, ihr habt ja nicht einmal genug Joghurt.“ Gemeint war überzuckerter Joghurt mit künstlich Aromen in Plastebechern.
In den frühen 90ern erlebten wir dann im Osten einen exzessiven Anstieg allergischer Erkrankungen vor allem bei Kindern. Was mag wohl der Grund gewesen sein?
Mir fällt nur der abrupte Wechsel zu – im Vergleich zu den Jahren davor – obskuren Ernährungsgewohnheiten ein.
Ein weiteres Beispiel:
Ich mache mir die Mühe und das Vergnügen teilweise meine Nahrung selbst anzubauen.
Meine Gurken sind zwar Spitze, werden aber nach 24 Stunden welk, die Tomate dito usw. usw.
Derzeit habe ich in einem abgedeckten Hochbett Feldsalat, den ich im 48 Stunden Rhythmus ernten kann und der nie irgendwelche Chemie gesehen hat. Ich möchte nicht nachrechnen, was eine Portion für 2 Menschen kosten müsste, wenn ich meine Arbeitszeit dazu in Relation setze. Wahrscheinlich könnte ich abends bei Eugen Block für wenige Blättchen ein sehr großes Steak ‚mit allem‘ eintauschen.😂
Es ist auch zu bedenken, viele Menschen selbst in unserem Land, ich schätze sicher um die zwei Drittel, wären dazu auf Grund ihrer sozialen Gegebenheiten und auch finanziell nicht in der Lage.
Wer will und kann sich schon selbst versorgen? Wir auf dem Land könnten es zumindest, wenn sich die Menschen die Mühe machen wollten, aber der Städter? Selbst auf dem Land gibt es kaum noch Eigenanbau, die Gärten meiner Nachbarn etwa sind beredtes Beispiel für sterile Grasflächen und das Essen bringt – zumindest für die jüngeren Generationen – die lokale Pizzeria oder der Lieferdienst. Wenigstens noch etwas aus regionaler Produktion!
Die Frage ist auch: Wer will viel Zeit für seine Nahrung opfern? Ich vermute, über den Daumen gepeilt, weniger als ein Drittel.
Übrigens, wenn man das Wohnungsbauwesen etwas verfolgt, wird jetzt der Trend: „Weg von der Küche“ propagiert. Also, Wohnen ohne Küche, „erschließt sich damit der Weg zu vernünftiger Ernährung“?
Oder was macht die alleinerziehende Mutter mit 3 Kindern im 7. Stock eines Hochhaussilos am Rande der Stadt? Sie kann weder Nahrungsmittel selbst anbauen, noch jeden Tag auf dem Markt frische, regionale Produkte einkaufen, dann zubereiten, nebenher die Wäsche erledigen, die Hausaufgaben der Kinder unterstützen und die Kinder – wie sozial mit viel Druck gefordert – noch mit Chor, Sportverein, Reitunterricht, Musikschule, Logopäden und Physiotherapeuten bespassen. Wenn dann noch einigen Minuten frei sind, geht sie schaffen, um den Unterhalt finanzieren zu können. Das kann kein Mensch leisten! Vielleicht kann es gedanklich die alleinstehende, kinderlose, gut verdienende, im Herzen tiefgrüne Frau in Berlin Mitte – aber das zählt nicht als normales Leben.
Übrigens, ich bin erstaunt wie der Begriff „aus regionaler Herstellung“ gehypt wird. Der Begriff sagt doch zuerst einmal nichts über die Qualität aus. Bei uns in Thüringen gibt es seit einiger Zeit auffällig bunt gestylte Eierpackungen „aus regionaler Produktion“. Öffnet man dann die vielversprechende Packung und besieht sich die Eier genauer, beginnt der Stempel mit der „2“. Nun ja.
Trotz aller Mängel in der optimalen Qualität steht doch fest: wir sind in der Lage unsere Menschen so zu ernähren, dass die Säuglingssterblichkeit exzessiv niedrig ist, dass es – außer Adipositas – kaum noch sogenannte ernährungsbedingte Erkrankungen bei Kindern gibt und nicht zuletzt, in unserem Land muss niemand hungern/verhungern, selbst wenn er nicht arbeiten kann oder will. Das zählt für mich als Pflicht, alles andere ist Kür.
Ich finde es völlig falsch auch hier schon wieder mit dem moralischen Zeigefinger in der Luft herumzustochern und auf die „mit Abscheu“ zeigen zu wollen, die sich nicht vegan, bio und regional ernähren, die nicht jeden Tag im Fitnessstudio herumturnen und mehrfach täglich die Waage quälen. Auch dies ist eine obskure Form von Ernährung und nicht notwendig.
Achten auf unsere Ernährung: ja, Eigenverantwortung wahrnehmen: ja, aber alles verteufeln: nein. Das verunsichert die Menschen noch zusätzlich und hilft niemanden.
Ich zumindest sehe, bei allen skizzierten Problemen auch sehr viel Positives, selbst wenn sich vielleicht nicht ein Jeder pumperlgsund fühlt.
Und wer heute die Möglichkeit hat: ein saftiges Steak (200 g reichen) bei Eugen Block ist wesentlich schmackhafter als geschrotete Grünkerne und ein trockenes Tofu-Schnitzel.
Guten Appetit.
In diesem Sinne trinke ich Saale Unstrut und Rotkäppchen. Das Gemüse kommt entweder vom Wochenmarkt oder auch aus dem Tiefkühler (ist mir lieber, als manches 4Tage Angebot im Supermarkt). Und Bio aus Übersee braucht kein Mensch. Nicht immer ist Bio, wo es aussen draufsteht.
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Rotkäppchen ist ja gut, aber der milde Essig😂von Saale-Unstrut? Ein hartes Kontrastprogramm zum Glühwein.
Bei „Bio“ hast du natürlich recht, was ist schon „Bio“? Selbst der Begriff ist ja nicht einmal klar definiert.
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