November, draußen ist es grau trist, feucht und kalt, genauso fühle ich mich auch.
Ein sehr zähes Gespräch mit einem Mann, Ende vierzig, „ja“, „nein“, viel mehr passiert nicht. Um meinem zunehmenden Missmut Raum zu geben und den Mann aus der Reserve zu holen, spreche ich sein auffallendes Äußeres an.
Er ist ziemlich groß, seine schon schütteren Haare sind zu einem Pferdeschwanz zusammengebunden, es wirkt irgendwie komisch, unrasiert, ein auffallend bunter Schal, lässig umgewunden, Goldkette, Armband, sichtbar teure, ebenfalls bunte Kleidung. An den Füßen neue Budapester, in Deutschland nur echt von der Bietigheimer Firma ‚Heinrich Dinkelacker‘, erkennbar an dem charakteristischen Schriftzug auf der Schuhsohle. Vielleicht gibt es aber auch hier schon Fakes aus China, ich weiss es nicht.
Jetzt wird seine Rede flüssiger, er kann von seinen eigentlichen Problemen ablenken, umständlich und nachdrücklich erklärt er mir sein Outfit, als müsse er einem blutigen Analphabeten die Grundzüge der Schrift erklären.
Am Schluss seines Sermons lässt er seinen Blick über mich schweifen, abschätzig wie mir scheint: „Und was haben Sie für einen Style?“
Ja, was habe ich für einen Style? Einfach zu beantworten: „Keinen.“
In meinem Schrank ist es sehr übersichtlich: ein Stapel T-Shirts weiß, ein Stapel T-Shirts schwarz, ein Stapel Boxershorts schwarz, ein kleiner Kasten mit Socken schwarz, mehrere dünne Pullover Cashmere mit Rundhals oder V-Ausschnitt, mehrere Jeans schwarz und blau, für die Arbeit zu Hause, für den Alltag, für „gut“ und für „besondere Gelegenheiten“. Einige Hemden, die ich notgedrungen im Sommer trage, aber nicht liebe. Dazu ein Anzug, der bei Hochzeiten und Trauerfeiern zum Einsatz kommt. Ich glaube, irgendwo liegen einige ältere Krawatten, sie haben Pech, dass sie mir irgendwann geschenkt worden sind.
Mein einziger kleiner Luxus sind Bär-Schuhe aus – na? siehe oben – Bietigheim.
‚Style‘ war für mich nie wichtig.
In meiner Kindheit war Geld immer knapp und entsprechend war meine Kleidung. Ich erinnere für den Winter einen grünen Lodenmantel, genäht von meiner Mutter aus einem „gewendeten“ Mantel meines Großvaters. „Gewendet“ hiess, ein gebrauchtes Kleidungsstück wurde aufgetrennt, der Stoff gewendet, also das Innere nach außen und daraus wurde ein neues Kleidungsstück zusammen genäht. Mit meinem grünen Mäntelchen war ich das Gespött meiner Klasse, aber warm war er. Von den „langen, dunklen Wollstrümpfen mit Leibchen“ mag ich schon gar nicht mehr sprechen.
Mit 14 Jahren verdiente ich mein erstes eigenes Geld und kaufte mir, ‚was ich wollte‘, eine Jeans. Und seitdem trage ich geschätzt 360 Tage des Jahres Jeans.
Vielleicht ist mein Style die Glatze, zuerst aus Mangel an verwertbaren Haaren und jetzt seit vielen Jahren aus Bequemlichkeit. Zuerst war ich es leid meine wenigen Haare immer wieder über die Halbglatze zu toupieren und die Haarschneidemaschine wurde auf „null“ gestellt.
Also, ich habe keinen ‚Style‘, finde das nicht defizitär, ich bin eben, wie ich bin, ’stylelos‘.
Format orientiert sich ja nicht am „Dresscode“.. Und so mancher Blender lässt sich schon mit Kleingeld aufkaufen..
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