Die Chuzpe des Popen
Die Geschichtsschreibung ist voll von über die Jahre verklärten Persönlichkeiten, denen Leistungen in Rechnung oder gesellschaftliche Anerkennung gestellt wurden, zu denen sie wenig oder nichts beigetragen hatten.
Eine dieser historisch verklärten Gestalten war Gerbert von Aurillac oder Gerbert von Reims, * um 950 in Aquitanien, der ab dem 2. April 999 unter dem Namen Silvester II ein kurzes Pontifikat antrat, welches sich schon am 12. Mai 1003 durch Tod erledigt hatte.

Gerbert galt und gilt als einer der großen Gelehrten seiner Zeit, wobei einige seiner Leistungen auch sehr überhöht dargestellt wurden.
Trotzdem nahm Gerbert von Aurillac gesellschaftlich die Stelle eines Universalgelehrten ein, da es ihm noch möglich gewesen sein soll, die septem artes liberales, die ‚Sieben freien Künste‘ zu überblicken und auch an der Domschule zu Reims aktiv zu lehren.
Die septem artes liberales umfassten meist:
- die Grammatik
- die Rhetorik
- die Dialektik
- die Arithmetik
- die Geometrie
- die Musik
- die Astronomie
Heute würden wir uns zuweilen glücklich schätzen, wenn die Politiker, unsere selbsternannten Eliten, beliebige Fähigkeiten überhaupt nachweisen könnten.
Von Silvester II, der die Mathematik besonders liebte, ist folgende historische Sequenz überliefert:
Als ‚Geist der Zahlen‘ hatte er schon vor Beginn seines Pontifikats errechnet, dass mit der Wandlung zum nächsten Jahrtausend, also in der Neujahrsnacht zum Jahr 1000, der Weltuntergang anstünde.
Es wird berichtet, dass die Massen der Gläubigen daraufhin von einer ‚hysterischen Raserei‘ ergriffen wurden und voll Angst dem drohenden Weltuntergang gegen Mitternacht entgegen sahen. Silvester selbst hat in dieser Nacht in Erwartung des Unheils ‚zitternd‘ die Messe gelesen.
Als der Weltuntergang schließlich in schnöder und undankbarer Weise ausblieb, nahm er geschmeidig die Kurve, indem er verkünden liess, dass der positive Ausgang der Geschichte ausschließlich das Ergebnis seiner innigen Gebete gewesen sei.
Am Himmelfahrtstag 1003 zelebrierte er die Heilige Messe in der Kirche Santa Croce di Gerusalemme, dort brach er im Amt zusammen. Als Letztes hätte er den Helfern befohlen, seinen ‚verfluchten Leib‘ nach dem Tode zu zerstückeln und sodann anonym zu verscharren. Dies befeuerte das von seinen Gegnern gestreute Gerücht, er habe seine Seele dem Teufel verkauft.
Die Story des ‚anonymen Verscharrens‘ hat sich wohl nicht realisiert, wird doch der Ort seiner letzte Ruhe in der „Liste der päpstlichen Begräbnisstätten“ mit dem ‚Lateran‘ in Rom angegeben.
Bemerkenswert bleibt die ‚Chuzpe des Popen‘:
Mit der Ankündigung oder Androhung eines tragischen Ereignisses werden die Massen elektrisiert und auf ein gemeinsames Ziel eingeschworen, meist hat es etwas mit Verzicht und Entbehrung zu tun.
Bleibt es – erwartungsgemäß – aus, wird dies den eigenen Fähigkeiten und Tätigkeiten zugerechnet. Verzicht und Entbehrung bleiben dagegen den Massen vorbehalten.
„Klimaschutz gibt es nicht zum Nulltarif.“