In einem anderen Blog wurde in den letzten Tagen die These aufgestellt, dass die Medizin bei bestimmten Erkrankungen in den letzten Jahren nicht sehr weitergekommen ist.
Ausgangspunkt war die Demenzforschung.
Es ist richtig, dass wir heute, am 1.12. 2019, nicht wenige Krankheiten und Körperstörungen nicht verlässlich kausal beeinflussen können und dass deren organischer(!) Verlauf schicksalhaft und im Bezug auf die Lebenserhaltung deletär ist.
Ich sage aber auch, der Mensch ist biologisch nicht dafür konzipiert und gesellschaftlich ist es undenkbar, dass er, der Mensch, „bei bester Gesundheit“ ewig leben sollte. Eine Gesellschaft von „hornalten“ Greisen mag ich mir nicht vorstellen und wäre letztendlich im Hinblick auf nachfolgende Generationen im höchsten Maße egoistisch.
Biologische Systeme gehen und vergehen, wobei es keine naturwissenschaftliche Gesetzmäßigkeit gibt, dass der menschliche Organismus vom ersten bis zum letzten Tag gleich leistungsfähig und sozial kompatibel sein muss. Dies würde heissen, den biologischen Alterungsprozess aufhalten zu wollen und zu können. Und dann?
Nicht mehr altern und die Fortpflanzung einstellen? Es wäre in meinen Augen eine Perversion.
Der Mensch und die Menschheit brauchen die Geburt und sie brauchen den Tod, ob uns das gefällt oder nicht.
Dass der Tod nicht immer sozial kompatibel ist, bleibt eine ganz andere Frage.
Natürlich kommen wir in der medizinischen Forschung praktisch täglich vorwärts, das Problem ist und bleibt, dass wir objektiv mit den immer exzessiveren Erwartungen und Forderungen der Menschen nicht Schritt halten können.
Nehmen wir das Beispiel der Demenz-Forschung, hier stossen wir ganz schnell an die Grenzen des Verständnisses.
Aktuell ist es gesellschaftlicher Kontext, dass psychisch „normal“ ist, wer sich sozial kompatibel verhält. Zustände, die nicht mit unbedingter sozialer Kompatibilität einhergehen werden pathologisiert, indem man sie als „behandlungspflichtig“ oder „behandlungswürdig“ einstuft und/oder besondere Bedingungen für die Betroffenen schafft. Wobei auch die „soziale Kompatibilität“ ausschließlich ein gesellschaftliches Konstrukt ist.
Es stimmt, dass die Genese der meisten Demenzformen heute nicht geklärt und demzufolge auch eine kausale Therapie nicht möglich ist.
Ein einmal eingeleiteter dementieller Prozess schreitet mehr oder weniger schnell voran und der Mensch verliert in diesem Prozess weitgehend oder vollständig seine soziale Kompetenz.
Allerdings leidet darunter, um es salopp auszudrücken, man möge mir das nachsehen, in der Regel lediglich das soziale Umfeld, der demente Mensch lebt in seinem „neuen“ Umfeld – aus seiner individuellen Sicht – bis zu seinem biologischen Tod völlig „normal“ weiter.
Ja, es wäre wünschenswert, wir könnten dementielle Erkrankungen vermeiden, es wäre für die Gesellschaft eine Entlastung. Wir können es nicht und werden nach heutigem Stand noch viele Jahre damit leben müssen. Sie sind, analog zu anderen chronischen Erkrankungen der Preis dafür, dass die Lebenserwartung in den letzten Jahrzehnten so exzessiv gestiegen ist.
Nicht jedes biologische System des Gesamtwesens Mensch altert in gleicher Geschwindigkeit.
Bei dem einen ist das Herz der Schwachpunkt, bei der anderen die Knochen und Gelenke, beim dritten vielleicht die kognitive Leistungsfähigkeit. Und wenn die kognitive Leistungsfähigkeit ihre Grenze erreicht hat und der „Rest“ noch intakt ist, dann wird man dement.
Meine Oma Anna selig pflegte an der Stelle zu sagen: „Wer nicht alt werden will, muss eben früh sterben.“
Hinsichtlich der medizinischen Forschung gab und gibt es seit eh und je eine Diskrepanz zwischen dem, was real ist und dem, was die Menschen, z.T. irreal, erwarten.
Die Hoffnung alle Krankheiten vermeiden oder stoppen zu können ist irreal, die Gesellschaft so zu beeinflussen, dass sie lernt mit Einschränkungen zu leben, ist – theoretisch gesehen – wesentlich realer. Ob es praxistauglich ist, muss offen bleiben.
Also bescheiden wir uns in unseren Erwartungen, alles andere wird sich finden.
Demenz wäre kaum ein Problem, wenn die medizinischen Möglichkeiten, den Körper faktisch unendlich lange am Leben zu erhalten, genau so begrenzt wären wie die Möglichkeiten, die Demenz kausal zu behandeln.
LikeGefällt 1 Person
Genau das trifft es.
LikeGefällt 1 Person